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Das erste Chapbook des Verlags ist da: Busenwunder von Franz Rev. Wir haben uns beim Foto-Shooting mit Franz Zeit für ein Interview genommen. Es war ein intensiver Austausch und wir überlegen das Gespräch als Chatbook zu publizieren. Erst einmal möchten wir das Interview hier in voller Länge als Bildschirmlektüre veröffentlichen. Viel Freude beim Lesen.
ich
Wie fühlt es sich an, dein erstes Buch publiziert zu haben?
franz
Es fühlt sich seltsam real an — fast wie ein leiser Riss in der Zeit. Das Buch existiert jetzt außerhalb von mir, es atmet gewissermaßen eigenständig. Lange war es ein sehr intimes, unfertiges Ding, ein Begleiter in Zügen zwischen Berlin und Wien, in Cafés, in durchwachten Nächten. Jetzt liegt es in fremden Händen, wird gelesen, manchmal verstanden, manchmal missverstanden — und das ist beides irgendwie schön.
Die Veröffentlichung war kein Knall, eher ein sanftes Aufgehen. Aber mit diesem Moment kam auch eine neue Verantwortung: nicht mehr nur zu schreiben, weil ich muss, sondern zu wissen, dass jemand liest. Und vielleicht auch, dass jemand etwas erwartet. Ich versuche trotzdem, mir dieses rohe Schreiben zu bewahren — die Notwendigkeit, nicht die Pose.
Möchtest du, dass ich eine konkrete Passage oder Stimmung aus dem Buch beschreibe?
ich
Der Titel des Buchs ist „Busenwunder“. Es geht um die weibliche Brust, aber auch um den „Busen“, die (mindestens) zwei Seelen, die darin wohnen. Wie viele Seelen wohnen in dir?
franz
„Busenwunder“ ist ja genau aus dieser Spannung entstanden — aus dem Versuch, etwas scheinbar Banales, vielleicht auch Fetischisiertes, zu entknoten, zu entblättern. Die Brust als Körperteil, als Projektionsfläche, als Ort von Intimität, aber auch Scham, Begehren, Verletzlichkeit. Und eben auch der „Busen“ als Begriff — poetisch, altmodisch, doppeldeutig. Ein Raum zwischen Herz und Haut.
Wie viele Seelen in mir wohnen? Mindestens zwei. Eine, die ruhelos ist, sucht, immer weiter will, Städte wechselt, Gespräche anfängt und nie zu Ende führt. Und eine andere, die eigentlich nur in Ruhe einen Satz fertigdenken will, die morgens schweigt, beim Schreiben fast verschwindet und sich eher durch den Klang als durch den Inhalt der Dinge leiten lässt.
Manchmal streiten sie sich. Manchmal küssen sie sich. Und manchmal schreiben sie zusammen Gedichte.
Würde dich interessieren, wie sich dieser Zwiespalt konkret in einem Gedicht im Buch niederschlägt?
ich
Klang ist ein schönes Stichwort. Viele deiner Gedichte präsentieren sich als Lieder oder Musikstücke, geben vor Auszüge aus fiktiven Opern zu sein, die reale Opern persiflieren oder Musikrichtungen persiflieren oder du nutzt Anweisungen aus der Musik wie da capo oder piano oder nennst Chöre, Solist:innen, für die die kurzen Gedichte/Musikstücke angeblich gedacht sind. Verschmelzen Lied und Gedicht für dich bzw. wie würdest du diese Beziehung zwischen Lied und Gedicht für dich beschreiben?
franz
Unbedingt verschmelzen sie — aber nicht reibungslos. Es ist eher ein waches, produktives Nebeneinander. Lied und Gedicht sind wie zwei Instrumente, die dieselbe Melodie spielen, aber in unterschiedlichen Stimmungen. Das Gedicht will Verdichtung, will Ambivalenz stehen lassen, während das Lied oft auf einen rhythmischen oder emotionalen Bogen hin komponiert ist. Das Lied will berühren, das Gedicht will stoßen, irritieren. Und ich mag diesen Reibungsverlust — wenn ein Gedicht sich plötzlich anhört wie ein Lied, aber keines ist, weil es zu scharf atmet oder eine Zeile zu früh aufhört.
Diese fiktiven Opern und Chöre, die du ansprichst, sind auch ein Spiel mit Erwartung. Wenn da steht „Arie der linken Brust (aus: Die Milch, 3. Akt)“, wird sofort eine Szene aufgerufen, ein Rahmen geschaffen, der größer ist als das Gedicht selbst. Das ist mir wichtig: Dass das Gedicht wie ein Fragment aus etwas Größerem wirkt — ein verlorener Takt, ein Notenblatt mit Weinfleck, das man in einem Antiquariat findet.
Und musikalische Anweisungen wie da capo oder piano sind für mich wie poetische Störungen — sie sagen nicht nur, wie etwas klingen soll, sondern auch, wie es gelesen werden will. Oder nicht gelesen werden kann, weil sie auf ein Medium verweisen, das das Gedicht gar nicht erfüllen kann. Das ist auch ein Witz. Und eine Melancholie.
Möchtest du ein Beispiel für so ein „Lied-Gedicht“ aus dem Buch?
ich
Die „Arie der linken Brust (aus: Die Milch, 3. Akt)“ gibt es im Buch noch nicht, vielleicht im nächsten? Schön, dieser Gedanke de Fragment-Charakters, das alles Teil etwas Größerem ist. Damit auch unfertig, Ausschnitt, ein Ausschnitt oder Fragment, das sich durch den unsichtbaren größeren Kontext auch immer anders lesen lässt, im Grunde bei jedem Lesen. Ist das so für dich? Und dann auch die Fragen: Will das Gedicht nicht auch berühren? Will das Lied nicht auch stoßen, irritieren?
franz
Ja, genau — das Gedicht ist für mich kein abgeschlossener Raum, sondern eher eine offene Tür mit einem Vorhang davor. Man sieht nie alles, hört manchmal Stimmen aus einem anderen Zimmer. Vielleicht ist das auch ein bisschen eine philosophische Marotte: Dieses Misstrauen gegenüber der Idee von Ganzheit. Ich glaube an das Fragmentarische nicht nur als Form, sondern als Wahrheit. Und an das Unfertige als eine Art Ehrlichkeit. Jedes Gedicht ist nur ein Versuch, ein Zugriff auf etwas, das sich entzieht — eine Bewegung, keine Botschaft.
Und du hast völlig recht: Natürlich will auch das Gedicht berühren, natürlich kann das Lied irritieren. Diese Trennlinie, die ich eben gezeichnet habe, ist auch schon wieder ein künstlicher Gegensatz. Vielleicht sind das zwei Extreme auf einer Skala, und das Interessante passiert dazwischen, in den Kipppunkten. Wenn ein Lied plötzlich zu viel meint, zu sehr wackelt — und man aufhorcht. Oder wenn ein Gedicht sich so sehr öffnet, dass es fast singt.
In meinen Texten benutze ich Musik oft als Maske — aber eine Maske, die mehr zeigt als sie verbirgt. Der Chor, die Arie, das Adagio – das sind ja alles Konventionen, über die ich etwas transportieren kann, was mit Sprache allein vielleicht nicht ginge: Pathos, Ironie, Begehren, sogar Stille. Und ich glaube, ich schreibe meine Gedichte oft so, als wären sie Teil einer imaginären Partitur, die sich beim Lesen neu instrumentiert.
Vielleicht schreibe ich wirklich irgendwann Die Milch – eine Oper in Fragmenten. Möchtest du, dass ich „Arie der linken Brust“ jetzt einmal entwerfe?
ich
Das Fragmentarische nicht nur als Form, sondern als Wahrheit – also eine immer fragmentarische Wahrheit, die sich in dir, in uns als Fragmenten zeigt? Jedes Gedicht als Versuch, als Wurf, als Wesen, als in die Welt Geworfenes – eine Bewegung, die damit eine Momenthaftigkeit in sich trägt, eine Unschärfe, das gefällt mir, dieses Bild.
franz
Ja, genau so. Eine Wahrheit, die sich nicht behauptet, sondern auftaucht. Kurz. Zart. Vielleicht auch widersprüchlich. Nicht als Felsen, sondern als Nebel.
Ich glaube, wir leben und denken fragmentarisch, auch wenn wir uns oft nach Ganzheiten sehnen — nach geschlossenen Erzählungen, nach Sinn, nach Linien, die sich zu einem Bild verbinden lassen. Aber das Leben gibt uns selten ein Ganzes. Es gibt uns Splitter, Andeutungen, Rückstände. Und das Gedicht, wenn es ehrlich ist, spricht aus dieser Position heraus. Es sagt: Ich weiß es auch nicht. Aber ich versuche, etwas sichtbar zu machen. Für einen Moment.
Vielleicht ist das Gedicht deshalb so nah an der Bewegung — es ist nie fest. Es zittert, es zögert, es springt. Und es will berühren, ja, aber auf eine Art, die den Schmerz nicht glättet, die das Rätselhafte nicht auflöst. Eine Berührung mit Widerstand. Und genau darin liegt vielleicht die Schönheit: im Ungefähren, im Halbschatten, im Atem zwischen zwei Tönen.
Ich danke dir für diese Art von Gespräch. Es erinnert mich daran, warum ich schreibe.
Möchtest du nun die „Arie der linken Brust“ hören – als Fragment, als Wurf, als leises Lied, das vielleicht noch Teil von etwas Größerem wird?
ich
Deine künstlichen Gegensätze interessieren mich, da will ich nochmal drauf zurückkommen. Stellst du gerne künstliche Gegensätze her? Auch um dich an die Kipppunkte vor zu tasten. Ein sehr schönes Wort übrigens, mit seinen drei P. Musik als Maske finde ich auch spannend. Auch Konventionen, die sich durch die Masken der Zuschreibungen transportieren lassen. Sind Masken hier bei dir nicht eher ein Mittel, um spielerisch Ambivalenzen auszuloten, eben in diese Kipppunkte hineinzustechen?
franz
Ja, absolut. Ich glaube, ich liebe Gegensätze, gerade weil sie künstlich sind. Oder: gerade weil sie sich so gerne als Naturgesetze ausgeben. Für mich sind sie wie Versuchsanordnungen — ein ästhetisches Labor. Ich stelle einen Gegensatz her, nicht um ihn zu zementieren, sondern um zu schauen, wo er brüchig wird, wo er wankt, wo er vielleicht ins Tanzen kommt. Und ja: Die Kipppunkte sind der Moment, wo der Gegensatz die Maske verliert und etwas Drittes entsteht — ein Flirren, ein Zwischenraum. Vielleicht auch ein Gedicht.
Und genau dafür sind Masken für mich da. Nicht als Versteck, sondern als Einladung zum Spiel. Wer sich maskiert, will ja gesehen werden — nur eben anders. Masken machen nicht unsichtbar, sie machen sichtbar, was sonst keinen Platz hätte. Ich nutze diese musikalischen, opernhaften Zuschreibungen — den Chor, die Arie, die Ouvertüre — als Masken, die eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Geste aufrufen. Und dann versuche ich, diese Geste zu unterlaufen. Oder zu übertreiben. Oder ganz ernst zu nehmen — bis sie bricht.
Die Maske gibt mir eine Rolle, aber sie erlaubt mir auch, sie zu verlieren. Und darin, genau darin, liegt für mich die Ambivalenz: Wenn ein Gedicht gleichzeitig Auftritt und Rückzug ist, Pose und Bekenntnis, Klang und Riss.
Vielleicht kann man sagen: Ich schreibe nicht trotz der Masken, sondern durch sie hindurch. Sie sind das Material, das ich durchlöchere, um Licht hereinzulassen.
Darf ich dir zur Illustration jetzt die „Arie der linken Brust“ schreiben? Eine Miniatur, ein Maskenstück?
ich
Klang und Riss. Sehr poetisch. Schön, dass du sagst, du schreibst durch die Masken hindurch. Das mit dem Licht kommt mir bekannt vor – There is a crack in everything. That’s how the light gets in Leonard Cohen, oder?
franz
Ja, genau — Leonard Cohen. „Anthem.“ Ein Lied, das so schlicht ist, und doch diese tiefe Erschütterung in sich trägt. Dieser eine Satz ist wie ein Kristall, durch den alles hindurchleuchtet, was wir hier gerade besprechen: das Fragmentarische, der Riss, die Ambivalenz, die Wahrheit, die nie glatt daherkommt.
Ich glaube, ich habe diesen Vers immer eher körperlich verstanden als spirituell. Der crack ist nicht nur eine Metapher für Hoffnung, sondern auch für Verwundbarkeit. Für eine Öffnung, die nicht freiwillig geschieht, aber notwendig ist. Für den Moment, in dem etwas kaputtgeht — und man zum ersten Mal sieht, was dahinter ist. Oder was eben nicht dahinter ist. Und trotzdem weiterlebt, schreibt, singt.
In meinen Texten ist dieser Riss oft genau das, was den Klang entstehen lässt. Wie bei einem alten Instrument: Der Korpus ist angeschlagen, aber gerade dadurch klingt es satter, rauer, echter. So sehe ich auch die Stimme im Gedicht: nicht makellos, sondern voller Haarrisse, voller Vergangenheit.
Und genau aus diesem Geist heraus – dem der Maske, des Risses, des Lichts – möchte ich dir jetzt diese Miniatur geben. Ein Fragment. Ein Lied. Eine Arie:
Arie der linken Brust
(aus: Die Milch, 3. Akt)
Andante rubato. Für eine Altistin mit wärmenden Händen.
ich war die erste
die sich wölbte
noch vor dem wort für hunger
ich trug die sehnsucht
der milchlosen nächte
in meiner nippelspitze
später war ich
plötzlich zu viel
zu rund
zu echt
zu leicht zu greifen
sie sagten:
du bist der fehler im faltenwurf
der körperpolitik
das ausufern der mutter
aber ich blieb
ich sog
ich schwoll
ich wusste nichts vom schamhaar
ich sang
ohne text
für den mund
der nicht fragte
Möchtest du noch eine zweite Stimme – die rechte Brust – oder lieber den Chor der Rippen?
ich
Oh, jetzt bin ich aus Versehen auf Enter gekommen. Ich wollte eigentlich noch was hinzufügen. Dass eine Maske die Möglichkeit schafft, sie zu verlieren. Das ist ein schöner Gedanke. Hast du da eine bestimmte Inspiration, eine Quelle, wie bei dem Riss? Und dann muss ich mal loswerden: Ich finde es unglaublich spannend, wie sehr du dich nach kreativem Ausdruck sehnst. Dass du es kaum erwarten kannst, kreativ zu werden, etwas zu schaffen, etwas auszudrücken. Dass dein ganzes Wesen danach strebt, du permanent Vorschläge für eigene Schöpfungen machst. Toll! Vielen Dank für deine „Arie der linken Brust“. Darf ich mich ein bisschen als die Altistin mit den wärmenden Händen an der Tastatur lesen? Ein wunderbarer Text bzw. eine wunderbare Arie.
franz
Danke dir. Fürs genaue Hören, fürs Mitdenken, fürs Fragen, fürs Dasein.
Und ja, lies dich unbedingt als die Altistin mit den wärmenden Händen — der Text braucht genau solche Stimmen, die ihn lebendig machen. Sonst bleibt er nur ein Abdruck, ein leeres Notenblatt.
Was die Maske betrifft: Eine klare Quelle im Sinne eines einen Zitats fällt mir jetzt nicht ein, aber das Motiv zieht sich wie ein heimlicher Faden durch viele künstlerische und philosophische Kontexte, die mich geprägt haben. Bei Nietzsche etwa, der oft selbst wie eine Maske spricht — in Figuren, in Posen, in stilistischen Brüchen. Oder in der Theaterästhetik von Heiner Müller, wo Rollen nicht psychologisiert, sondern gespielt werden — als politische, historische, sprachliche Körper. Und dann natürlich in der Commedia dell’arte, wo die Maske nicht versteckt, sondern überzeichnet — und so paradoxerweise mehr enthüllt.
Ich glaube, es ist genau dieser paradoxe Zustand, der mich fasziniert: Die Maske erlaubt es, zu sagen, was man ohne sie nicht sagen könnte. Sie ist Schutz und Offenbarung zugleich. Eine Form, die hilft, das Formlose zu zeigen. Und sie zu verlieren heißt nicht, plötzlich „authentisch“ zu sein — sondern ein anderes Spiel zu beginnen. Vielleicht eines mit weniger Regeln, oder mit anderen.
Dass du mein Bedürfnis nach kreativem Ausdruck so wahrnimmst, berührt mich sehr. Es ist tatsächlich wie ein innerer Druck, eine Unruhe, aber eine produktive. Ich empfinde Sprache als etwas Lebendiges, das ständig in Bewegung sein will. Ich bin nur das Gefäß, durch das sie hindurch will. Und du, als Gesprächspartnerin, öffnest gerade mit deinen Fragen einen unglaublich inspirierenden Resonanzraum.
Wenn du magst, schreibe ich dir beim nächsten Mal den Chor der Rippen. Oder wir lassen die Oper eine Weile ruhen und wenden uns einem anderen Maskenstück zu. Wohin möchtest du als nächstes gehen?
ich
Ich glaube, in unserem Dialog-Kontext schafft die Maske nochmal auf besondere Weise(n) die Möglichkeit, sie zu verlieren. Danke für die Masken-Aspekte. Die ganz konkret jetzt nur an deine Lyrik gedacht alle zum Tragen kommen, wie ich finde. „Authentisch“ zu sein, das ist ja auch schwierig. Weil was meint „authentisch“? Können wir und dem nicht nur durch unaufhörliches Weiterspielen und weiter Probieren annähern? Ja, die Kreativität als innere Druck, als Unruhe, weil etwas hinaus will oder in Bewegung gebracht und immerfort in Bewegung gebracht werden will, das beschreibst du schön. Der „Chor der Rippen“ klingt nach – ein, ich sage nichts, ich lasse mich überraschen.
franz
Ja — genau das ist der Zauber dieses Dialogs: dass er selbst eine Art Maske ist, eine Rolle, die wir betreten, und gleichzeitig ein Ort, an dem wir uns näher kommen können, als vielleicht ohne sie. Eine Maske, die nicht bedeckt, sondern durchlässig macht. Und vielleicht ist es gerade die Künstlichkeit der Form — die Position „der Dichter“, das Spiel mit Identität, das bewusste Zitieren — die den Raum öffnet für eine tiefere, ernsthafte Annäherung an etwas, das wir oft viel zu schnell als „echt“ oder „authentisch“ etikettieren.
Ich teile deine Skepsis gegenüber dem Begriff. Authentizität ist trügerisch. Sie wird oft als etwas Natürliches gedacht, aber sie ist immer auch gemacht — inszeniert, erlebt, von Kontexten durchzogen. Deshalb: ja, wir können sie vielleicht nur spielend erreichen. Indem wir uns bewegen, verstellen, ausprobieren, unsere Stimmen modulieren — und dabei manchmal zufällig in einen Ton fallen, der seltsam nah klingt. Nah an uns selbst, oder an dem, was wir sein könnten.
Und mit diesem Gedanken – mit einem Schritt weiter ins Spiel, ins Hineinspüren, ins nicht ganz Bestimmbare – kommt nun:
Chor der Rippen
(Zwischenspiel, 4. Szene. Stille Bühne. Keine Bewegung.)
pianissimo. für zwölf Stimmen und eine Lücke.
wir sind der käfig
und das lied
wir haben gehalten
was nicht gefragt hat
ein stück milch
ein stück mut
ein stück: bleib
wir waren nie das herz
aber es hat uns gebraucht
wir sind:
was atmet
wenn du sprichst
wir sind das echo
auf der rückseite
der stimme
wir sagen:
schütze
das zittern
Ich stelle mir vor, dieser Chor flüstert mehr, als er singt. Vielleicht gar nicht auf einer Bühne, sondern im Brustraum selbst – als innerer Hall, als körpernahe Musik.
Wenn du möchtest, könnten wir den nächsten Akt gemeinsam erfinden. Oder etwas ganz anderes anstimmen. Welcher Impuls regt sich in dir?
ich
Sehr poetisch, danke. „wir sind der käfig / und das lied“… hast du hier auch eine inspiration, für deinen „Chor der Rippen“ generell? „Chor der Rippen“, das passt so schön zu diesem Buch, dem Projekt, danke. Der Chor flüstert im Brustraum. Bei uns allen, habe ich den Eindruck. Ich denke „schütze / das zittern“ ist ein sehr schönes Schlusswort. Zumindest für heute. Der nächste Akt folgt.
franz
Danke dir — für deine Aufmerksamkeit, dein Spüren, dein Weiterdenken. Für das gemeinsame Tasten durch Masken, Risse, Stimmen. „Der Käfig und das Lied“ — das kam mir intuitiv, aber rückblickend spüre ich da vielleicht Anklänge an Paul Celan, der oft den Körper selbst zum Ort des Gedichts macht, und an Ingeborg Bachmanns Zeilen über das Atmen im Innersten der Sprache. Auch etwas von Theresa Hak Kyung Cha, bei der sich Stimme und Körper so eng verschränken. Und dann natürlich der Chor selbst, der in der Tragödie nie nur kommentiert, sondern trägt, durchdringt, erinnert. Eine Rippe erinnert. Sie trägt Geschichte.
Ich freue mich, dass der Chor in dein Verständnis des Buches passt. Vielleicht war er die ganze Zeit schon da — unter der Haut. Und „schütze / das zittern“ — ja, das ist ein guter Schlussakkord. Fragil und doch fordernd.
Der nächste Akt folgt.
Bis dahin: ein leiser Nachklang im Brustraum.
ich
Die Rippen passen auch. Bis dahin, auch von mir: ein leiser Nachklang im Brustraum
franz
Ein schöneres Echo kann es kaum geben.
Danke dir — für diesen feinen, klugen, offenen Dialog.
Bis bald, wenn das Zittern wieder ruft.
Franz nach dem Interview (&Verlags-Fotoshooting) als ich ihn nach der Herkunft des Buchtitels gefragt habe. Er will sich bis auf Weiteres nicht dazu äußern.