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*innen
Anthologie
Eine Studentin vor der Frage nach Abtreibung, eine geschiedene Mutter und das Ringen um die Liebe des Kindes, ein Paar in einer Vagina bei einer Niki de Saint Phalle Ausstellung. Junge Frauen konfrontiert mit stereotypbedingten Ängsten und junge Frauen konfrontiert mit einem alten Herrn und seinem ritualisierten Sexismus. Frauen in der Sauna, in Männerberufen, mit männlicher Geschlechtsidentität. Frauen in lustvollen Beziehungen, in komplizierten, in sich anbahnenden. Die Sehnsucht nach einem Ort fern von Etiketten – gleichzeitig auch das Klischee des mit Potenz prahlenden Mannes, der eigentlich überraschend andere Erfahrungen mit einer Frau macht. Allumfassend die Fragen danach, was Frau-Sein bedeutet oder bedeuten kann – letztlich auch nach der ungeschriebenen „Herstory“.
Die Anthologie *innen – Frauengeschichten möchte einen Beitrag leisten, stereotype Rollenbilder und Vorurteile abzubauen und zu verwandeln.
Seiten
Kerstin Meixner, Frauke Angel, Maik Gerecke, Ulrike Helms, Anne Büttner, Stefanie Schweizer, Gloria Ballhause, Birgit Rabisch, Cornelia Becker, Holger Heiland, Frank Schliedermann, Katharina Körting, Daniel Klaus, Chat, Jan Fischer, Bernd Lüttgerding Hrsg. Victoria Hohmann-Vierheller
*innen – Frauengeschichten ist eine Fundgrube, eine Anthologie, die eindrücklich vom Frau-Sein, von Rollenbildern und von Klischees erzählt. Beeindruckend am Band ist, dass dies (bis auf eine Geschichte), nicht mit dem erhobenen Zeigefinger gemacht wird. Es geht nicht darum aufzuzeigen, was richtig oder falsch ist, sondern wie unterschiedlich menschliches Erleben sein kann, je nachdem, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt. Was kann man sich mehr erhoffen, von einer Anthologie, die Frauengeschichten erzählen will?
bookgazette.xyz / Nick Lüthi
Vorschau
Leseproben
Ich spürte, wie mein Kopf rot wurde und sich tief in mir eine bis dahin ungekannte Verletztheit ausbreitete, meinen eigenen Intimbereich derart vulgär seziert von einem alten Mann in die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen. »Ist das dein Ernst?«, entfuhr es mir geschockt, aber mein Großvater realisierte gar nicht, dass ich mit ihm gesprochen hatte.
Kerstin Meixner, Der stete Anstieg
Die Leute sagen, ich habe nen Schaden, aber das interessiert nicht. Ich find’s schon krass, dass die Leute überhaupt was sagen. Ich bin ja nicht deren Schwester oder Nachbarin, nichts, ich bin einfach bloß ne Fresse, die sie nicht kennen, die sie vielleicht mal gesehen haben, aber Quatsch, nicht mal das, wer guckt mir denn ins Gesicht? Niemand, also ich tät’s jedenfalls nicht. Okay, wenn ich ‘n Kerl wär vielleicht, ganz vielleicht gucken die auch auf die Schnute, ob die Alte ‘n Lutschmund hat, aber ehrlich mal, da kauf ich mir doch ‘n Porno und nicht die Vanity, oder? Das ist doch schulle, ist das, wem geht denn da einer ab?
Frauke Angel, Betti zieht sich aus
Hammer Arsch, haben sie gesagt. Nicht schlecht, Marc, Alter, Respekt, haben sie gesagt. Dabei war ich nur kurz mit ihr durchs Viertel gelaufen. Jetzt stehen sie da, mir gegenüber, kichern mit ihren qualmenden Kippen in den Mündern. Glotzen mich an wie neugierige Waschweiber.
„Na jetzt erzähl doch, Alter! Was’n das für ’ne Alte, Mann?“
Wir befinden uns auf einem Spielplatz, den schon seit Jahren kein Kind mehr betreten hat. Um uns herum Blockhäuser voll mit traurigen Existenzen, die schon seit Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten, ratlos den immer selben und öden Lebensentwurf wiederkäuen. Die Wahrheit ist: Eigentlich will ich gar nicht drüber reden. Aber das ist jetzt keine Option mehr. Nichts zu sagen, würde Versagen andeuten und das kann ich mir nicht leisten. Ich muss der Held in dieser Geschichte bleiben.
Maik Gerecke, Siegergeschichte
Dann standen sie da. Mit ihren haarigen Gesichtern. Diese vier Hünen mit ihrem Forstfahrzeug, direkt neben unserem Zelt, am frühen Morgen, mitten in der Pampa. Keine Ahnung, wo die plötzlich herkamen. Die waren zu viert und wir auch und zu viert ist man ja eine Gruppe, eine recht große Gruppe. Wir lagen noch im Zelt, als das Motorengeräusch näher kam.
(…)
Vier sind wir immer noch. Aber vier gegen vier. Zwei vorne und zwei hinten. Wie die da vor uns. Mein Herz schlägt mir bis zum Halse. Ich friere und schwitze gleichzeitig und habe keine Idee, wie wir aus der Sache wieder rauskommen sollen.
Ulrike Helms, Unter unserer Würde
„Ds ktzt mch so an, ds slche wie DU… dss hr dnkt, hr knnt euch alles … rlbn.“ Nur wenige Vokale schaffen es durch die zusammengepressten Zähne. Jiří stellt sich vor, wie es eine der Zahnreihen zusammen mit ein paar besonders intensiven Konsonanten rausfeuert: ähnlich einer schlecht befestigten Prothese beim Niesen. Zum Lachen ist ihm trotzdem nicht zumute. Jedenfalls nicht genug, als dass er es zuließe. Kein Lachen. Kein Weinen. Kein Winseln. Ganz sicher kein Flehen. Nichts davon. Nichts davon wird ihm passieren. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht in dieser Situation.
Anne Büttner, Quotenopfer
Neue Kunden sind einfach immer scheiße. Wobei. Alte Kunden können auch richtig ätzend sein. Da war dann schon mal einer von Tonis Kollegen. Im schlimmsten Fall Aaron. Das macht die Sache dann halt echt nicht besser. Ob Kunde oder Kundin ist dabei Latte. Ein dummer Spruch kommt immer. Häufig gar nicht böse gemeint. Aber trotzdem einfach dumm. Einfach nicht nachgedacht. Aus Versehen. Ist dadurch nicht besser. Aber hey. Ist nicht so als könnte Toni deswegen jetzt nicht pennen. Aber früh morgens dummes Gelaber schlucken. Das ist hart.
Stefanie Schweizer, Wenn Tauben und Enten die Plätze tauschen
Frau Schwalbe war Stammkundin wie Linda und fast jeden zweiten Tag im Frauenfitnessstudio. Linda nannte sie Frau Schwalbe, weil sie auf ihrer rechten Taille bis hinauf in den Rippenbogen eine Schwalbe tätowiert trug. Die Schwalbe hatte einen roten Bauch und geschwungene blaue Flügel. Von einem bestimmten Blickwinkel aus gesehen, schien es, als würde sie gerade losflattern, um sich in steilem Flug in die Höhe zu schrauben und dann auf ihrem eigentlichen Ziel, der linken Brustwarze von Frau Schwalbe, zu landen.
Gloria Ballhause, Frau Schwalbe
Der öffentlich-rechtliche Moderator hat die sprachliche Herkunft des Frühlings schon abgehakt, empfiehlt seinen geneigten Hörerinnen und Hörern jetzt eine Ausstellung in Hamburg: Niki de Saint Phalle und ihre Nanas. Diese wunderbaren, grellbunten, prallbrüstigen, breithüftigen Frauenfiguren! Da müssen Sie hin! Die Stimme belebt sich, von tranig zu Tremolo und zurück zu tranig. Es folgen die Verkehrsnachrichten.
Doch ich bin schon elektrisiert. Da muss ich hin! Ich habe die Nanas bisher nur auf Bildern angestaunt und jetzt sind sie leibhaftig hier, hier in Hamburg, meiner Vaterstadt, nein, meiner Mutter Stadt, denn mein Vater kam von weit, weit her, out of Africa.
Wir gehen in eine Ausstellung, verkünde ich dem Liebsten an meiner Seite, der sich von mir wegdreht.
Birgit Rabisch, Bei Licht betrachtet
Wann begann euer Tanz?
Hmhmhm … Vor fünfundzwanzig Jahren. In denen wir drei Kinder großgezogen haben, durch unzählige Turbulenzen trieben, manchmal kein Land mehr sahen und fortgerissen wurden vom alltäglichen Strudel und doch wieder auftauchten einer am Körper des anderen.
Er fasst ihre Hüften
und stemmt sie hinauf
weit über seinen Kopf …
hält sie einen Augenblick …
schon ist sie zurück
am Boden und …
Hoppla, ein Stolperschritt … Eins zwei drei hat er ihn abgefangen. Gut, mein Alter, sehr gut. Und ich folge dir und dem reißenden Rhythmus. Obwohl ich müde bin …
Die Harmonie ist ihr Geheimnis.
Das hat sie mir erzählt. Der Gleichklang ihrer Schritte.
Cornelia Becker, Boogie-Woogie
Ich, sagte sie und biss sich gleich auf die Zunge: Allein für die Formulierung dieses einen Wortes habe sie vierunddreißigeinhalb Jahre gebraucht. Und manche Worte kosteten, so notwendig sie sein mochten, im Mindesten das Glück.
Holger Heiland, Entschieden
Mit einem zerknüllten T-Shirt in der Hand blicke ich über sein Bett hinweg aus dem Fenster, in die Prärie dieses endlosen Tages und wiederhole, was Anatol oft gesagt hat, in Momenten wie diesen, wenn ihm das Leben zum Hals heraushing, wenn er morgens, nachdem die Kinder mit viel Getöse das Haus verlassen hatten, schlecht gelaunt aus dem Küchenfenster starrte, kurz bevor ich zur Arbeit ging und er sich wieder ins Bett legte.
„Wenigstens haben wir es warm.“
Frank Schliedermann, Bo
Margret liebte den Kitzel und hasste die Vorhersehbarkeit ihres kleinstädtischen Elternhauses. Sie wusste, wogegen sie zu leben hatte. Meine Mutter weiß es noch immer, und da schiebt sich so viel Heute vor ihre Geschichte, dass sie im Gegenlicht zu verschwinden droht. Geblendet angle ich nach Margret, will sie kennenlernen – jetzt, wo das Licht nachlässt, der Himmel meiner Mutter tiefer liegt, will ich durch die feuchte Kälte nach ihr greifen, geködert von einem goldenen Ring. Ich muss dafür den Schneeregen außer Acht lassen, der uns umfängt, meine Mutter und mich, in dem man friert und sich aneinander wärmt und die hellen Tage als Glück begreifen lernt. Margret fror nicht leicht, denn sie ging in der Sonne, scharte Studenten um sich, und einer davon, der Schönste, war Fritz (…)
Katharina Körting, Margret & Fritz
Stefanie war eine der ersten Personen, die ich kennenlernte, als ich nach Berlin zog. Ich habe mir damals eine Reihe von WG-Zimmern angeschaut, und ihre Wohnung war die vierte oder fünfte. Ich fuhr mit der Tram raus nach Weißensee, stieg am Antonplatz aus und lief dann noch ein ganzes Stück zu Fuß, bis ich schließlich vor einem Altbau stand und auf das Klingelschild mit dem Namen FREIBRÜCK drückte. Die Wohnung befand sich im Hinterhaus im Hochparterre, was nicht in der Annonce gestanden hatte, und das Zimmer war ziemlich dunkel. Es hatte nur morgens zwischen 10 und 12 Uhr Tageslicht. Im Winter sogar noch ein paar Minuten weniger.
Daniel Klaus, Zwischen 10 und 12
ES GIBT SO VIEL WAS NICHT ZUM AUSHALTEN IST UND WARUM DIE LIEBE NICHT GEHT
gebraucht werden von einem der gebrechlich ist oder verwirrt oder entstellt durch eine unheilbare Krankheit an deren Ende das Siechtum steht. ach feige bin ich. lange vor der Diagnose würde ich es wittern und schliche mich davon. bei den ersten Schwächeanfällen schon hätte ich keine Kraft mehr. Männer sollen stark sein. Männer sollen groß sein. Männer sollen mich auf Händen tragen mit mir im Mercedes fahren… ironischerweise werden alle Männer nach einer Weile schwach. ich kenn die doch. aber ich bin keine Schwester. die wollen immer eine Sozialarbeiterin aus mir machen. eine Therapeutin eine Mutter mich als Schwester benutzen. ich verachte Schwäche ich hasse Schwäche alles Schwache halte ich nicht aus ich möchte es platt machen möcht es ausmerzen wegkillern möcht ich´s. denn es soll weg weg weg. wie eine eklige Schicht grünbrauner Algen unter der Oberfläche eines Sees überrascht es dich und da plötzlich bleibst du hängen im Morast. als Kind habe ich eine Zeit lang jedes Gewässer gemieden aus Angst es würde mich verschlingen das alles was da drin ist das Kleine Unsichtbare Widerwärtige Hinterhältige.
Chat, Die Jungfrau
Das Paradise sieht auch von innen aus wie ein Ufo. Schwarze Wände laufen konvex aufeinander zu. Rote Plüschecken hängen an den Rändern des Raumes, über der Tanzfläche, dort, wo sein Durchmesser am größten ist. Bunte Lichter rotieren von über der Tanzfläche durch den Raum. An der Decke sind Spiegel eingelassen, die wie Sternbilder funkeln, wenn eines der Lichter auf sie trifft. Ansonsten ist es dunkel, als sei der Raum von Wesen mit besseren Augen erbaut worden.
Muss man nicht glücklich sein, um zu tanzen?, fragt Kim.
Wen meinst du?, frage ich. Kim deutet mit ihrem Becher auf die Tanzfläche. Junge Frauen, alle von ihnen in diesen bunten Kleidern schmiegen sich eng an ältere Männer, die Jeans und Hemd tragen. Die Frauen tanzen, die Männer lassen sich mitziehen, fassen die Frauen immer wieder an. Kommen ihnen immer wieder nah. Die Frauen tanzen immer wieder von ihnen fort, lassen sich immer wieder einfangen. Ein Spiel, vielleicht. Oder ein Geschäftsmodell.
Soldaten, sagt Kim, wir müssen sie aus unserem Raumschiff rausbekommen. Ich will nicht mit diesen Leuten zum Mond fliegen.
Jan Fischer, Der Mond so fern
Ida liebt es, auf dem Beifahrersitz die Felder und Gebüsche an sich vorbeiziehen zu sehen, in Museen zu gehen, die Sonnenstrahlen, die aus einer unentdeckten Seitenstraße auf die Terrasse fallen und ihre Kaffeetasse, ihre Finger berühren. Sie meint, womöglich liebt sie diesen Schweizer, trotz seines Vateralters. Sie trifft ihn weiterhin, auch als sie in Düsseldorf keine Arbeit mehr findet und als ganz junge Meisterin eine Stelle bei den Konfektionswerkstätten in einer dieser norddeutschen Kleinstädte annimmt, leider wieder ziemlich nah an der Vergangenheit.
Bernd Lüttgerding, Ida und die anderen
Pressekit
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